Kritik
"Geil"? Sind wir hier Proleten? So etwas schreibt man schließlich nicht im Zusammenhang mit einem edlen Stück des Großmeisters Martin Scorsese. Stimmt eigentlich, aber „The Wolf of Wall Street“ ist eine Ausnahme für sich. Hier entspinnt sich kein feines Drama über Börsentäter und die finanziell ruinierten Opfer, hier warten keine langen paranoiden Bilder über zweifelnde Mittäter und Unterweltpaten. Hier gibt es eben laute selbstverliebte Egomanen, Kokain und Nutten. Und Koks und Nutten gar in freizügigem Überfluss.
Auf den Memoiren des realen Belfort (mit Cameo) basierend, zelebriert „The Wolf of Wall Street“ nach kurzer Zeit die gelebte Gier. Großraumbüros voller ins Telefon schreiender Angestellter verwandeln sich bei entsprechenden Provisionen in rauschende Feste mit Nacktparaden und Zwergenweitwurf. Mittendrin steht ein entfesselter Leonardo DiCaprio und wirft mit Geldscheinen um sich. Es ist Belforts Geschichte, er erzählt sie aus dem Off oder direkt von der Leinwand herabblicken. Für Scorsese ist es wichtig, dass man diesen Arsch zwar nicht wirklich mag, in den nächsten 3 Stunden aber von ihm fasziniert ist. Und das geht schnell: Durch Belforts Augen haben die Drogen kaum Nebenwirkungen und die Frauen sind immer aus der Oberliga und frisch rasiert.
Sind wir Schweine, wenn wir Lust darauf haben zu DiCaprio in den Ferrari zu steigen? Sind wir. Aber hey: f*ck it!
„The Wolf of Wall Street“ ist ein Trip im Kopf eines Verbrechers. Das Selbstbild eines nimmersatten Betrügers, der wiederum nur von anderen Betrügern umgeben ist. Dieses Stück über fehlende Moral hätte in vielen Varianten auf die Leinwand gehen können. Zum Beispiel aus Krimi, Doku oder Drama. Martin Scorsese bietet allerdings eine kleine Sensation: Sein Film ist eine zynische Komödie. Durch den vielen Sex sogar eine Komödie am Rande der Zensur. Das Konzept geht auf: Durch die erhöhte Altersbeschränkung ist erwachsenes Publikum garantiert und moralische Aspekte können subtiler in die rasante Szenerie eingebunden werden.
An unnötigen Erklärungen haben der Regisseur und sein Drehbuchautor Terence Winter indes keinen Spaß. DiCaprios Belfort erzählt dem Zuschauer irgendwelches Aktienzeugs, bricht ab bevor es zu langweilen beginnt und kommt gleich zum springenden Punkt:
„Ist das alles hier legal? Absolut nicht!“
So kommt irgendwann das FBI ins Spiel und der ursprünglich endlosen Party droht doch der verkaterte Morgen danach. Doch selbst bierernsten Situationen, wie dem ersten Treffen zwischen Belfort und Ermittler Denham (Kyle Chandler), wohnt immer eine clevere Situationskomik inne. Das liegt zu gleichen Teilen an überspitzten Dialogen an der Grenze zur Farce und dem erlesenen Ensemble des Films. Ein Auszug: Jonah Hill erzählt wie es zur Hochzeit mit seiner Cousine kam, Jean Dujardin nimmt seine eigenen sprachlichen Defizite auf die Schippe, Spike Jonze gibt den Softie-Broker, der Belfort gern mit fellati* bezahlen würde. Man kann dem geballten Aberwitz dieses Films in Textform kaum gerecht werden und darf sich einfach mal vom Lifestyle der Skrupellosen mitreißen lassen – und bei Bedarf dennoch mit moralischen Details und Gewissensfragen ringen.
Die vielen Impressionen aus Belforts Aufstieg und Fall kommen in solch einer ungeheuren Intensität und Dynamik daher, dass man sich hinter der Kamera kaum einen Regisseur im gehobenen Alter vorstellen kann. Doch Scorsese ist bereits über 70 Jahre alt. Hier packt er nochmal seine gesamte Vitalität und Kompetenz in ein weiteres Epos über unstillbares Verlangen sowie den gefährlichen Wahn, der damit einhergeht.
Fazit
Diese schwarze Komödie ist sehr vieles: Gier, Sex, Erfolg, Lust, Sucht. Martin Scorsese verfilmt die Memoiren eines durchtriebenen Aktienhändlers als berauschende Orgie und ergänzt seine ohnehin schon einzigartige Vita um ein weiteres Meisterwerk.
Martin Scorsese ist ein wahrer Rockstar von Film gelungen.
Kritik: d kr
Beliebteste Kritiken
- The Wolf of Wall Street Zahlreiche grandiose, einprägsame Szenen gibt es in der neuesten Scorsese/DiCaprio-Zusammenarbeit zu sehen. Dem gegenüber stehen aber auch einige Längen, die der Film mit sich bringt.Die opulente Länge von fast drei Stunden hätte es meiner Meinung nach nicht gebraucht, so ging doch einiges an Power verloren.In seiner Art ... MightyG am 18.02.2014 1 0
- The Wolf of Wall Street Zur Abwechslung mal eine weniger kühl-analytische Kritik von mir, sondern etwas persönlicher.Zuerst einmal sind alle(!!) Schauspieler über jeden Zweifel erhaben. Der Cast holt wirklich alles aus seinen Rollen heraus, und selbst der von mir in der Regel eher skeptisch beäugte Jonah Hill hat mich hier überzeugt. Scorsese we... Wuttke am 19.01.2014 0 1
- The Wolf of Wall Street Diese Kritik enthält Spoiler. Martin Scorsese gehört mit Sicherheit zu den Besten seines Faches. Dabei ist besonders die Bandbreites seines Könnens beachtlich. Egal ob feines Biopic wie Aviator, klassische Thriller wie Casino oder Good Fellas oder zuletzt der märchenhaftschöne Hugo Capret – Scorsese kann so ziemlich alles inszenieren. Dass er dabei erst 2... Wunderlich am 21.01.2014 0 1