Die Filmstarts-Kritik zu Wunder (2024)

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Wunder

Kritik der FILMSTARTS-Redaktion

3,5

gut

Wunder

Von Thomas Vorwerk

Auf dem Schulhof, bekanntlich einer der erbarmungslosesten Orte des Alltags, genügt manchmal schon die falsche Turnschuhmarke, um Hohn, Spott und handfestes Mobbing hervorzurufen. Für jede Äußerlichkeit, die von der vermeintlichen Norm abweicht, für jedes Anderssein bekommt man zudem schnell einen gemeinen Spitznamen verpasst. Die Opfer solcher kindlicher Grausamkeit werden in der Fiktion nicht zufällig oft zu den Helden, denn fast jeder kann sich mit den heranwachsenden Außenseitern identifizieren, wie auch der anhaltende Erfolg der Marvel-Mutanten aus „X-Men“ und Co. beweist. Stephen Chboskys gleichnamige Adaption des Kinder- und Jugendbuchs „Wunder“ (Deutscher Zusatztitel: „Sieh mich nicht an“) von R.J. Palacio lebt ebenfalls von dieser einfach zu verstehenden Ausgangssituation. Der Regisseur von „Vielleicht lieber morgen“ verleiht seinem emotionsgeladenen Familiendrama mit Coming-of-Age-Einschlag dazu einen ungewöhnlichen Facettenreichtum.

August „Auggie“ Pullman (Jacob Tremblay) sieht seinem ersten Schultag mit Grauen entgegen. Nachdem er die ersten vier Klassenstufen von seiner Mutter Isabel (Julia Roberts) zuhause unterrichtet wurde und auch seine etwas größere Schwester Olivia (Izabela Vidovic), die von allen nur Via genannt wird und Vater Nate (Owen Wilson) ihn liebevoll umhegten, geht nun der Ernst des Lebens los und er muss sich allein seiner Umwelt stellen. Auggies Problem: Durch einen seltenen Gendefekt ist sein Gesicht entstellt, was den Einstieg für den Elfjährigen in der Schule nicht einfacher macht. Vor allem sein Klassenkamerad Julian (Bryce Gheisar) macht Auggie alsbald zur Zielscheibe übler Scherze…

Die Filmstarts-Kritik zu Wunder (1)

Über Auggie als Erzähler lernen wir zu Beginn die Perspektive der Hauptfigur kennen und erleben auch seine persönliche Taktik, mit der ungewohnten Situation klarzukommen: Auggie ist „Star Wars“-Fan und hat generell eine Vorliebe für alles, was mit dem Weltall und Astronauten zu tun hat. Da er ohnehin nichts lieber tut als den ganzen Tag mit einem Astronautenhelm auf dem Kopf rumzulaufen, nutzt er dieses geniale Geschenk gern, um sein Gesicht vor der Umwelt zu verbergen. Wenn er (gezwungenermaßen ohne Helm) erstmals über den Schulhof wandelt und die unvorbereiteten Mitschüler erschrocken oder ablehnend reagieren, stellt er sich vor, er sei ein bejubelter Raumfahrer, der gerade von einer Expedition ins All zurückkehrt. Oder einer seiner Helden aus „Star Wars“ wie Chewbacca, der eben etwas anders aussieht, aber bekannterweise trotz Ganzkörperbehaarung und schwer verständlicher Grunzsprache eine toller Kerl und ein echter Kumpel ist.

Als Auggie nach seiner Liebklingsfigur aus dem Sternenkriege-Universum gefragt wird, entsteht daraus eine der witzigsten, bewegendsten und fantasievollsten Szenen des Films mit einem winzigen Überraschungskurzauftritt als Krönung. Erzählerisch noch bedeutsamer ist dann aber, dass Auggie zwar der Protagonist der Geschichte bleibt, aber seine Perspektive nach einer Weile aufgegeben wird. Nach und nach treten neue Erzählerstimmen in Erscheinung, die uns jeweils durch einige Szenen führen. Dabei erleben wir das Geschehen jeweils für eine Weile aus deren Sicht. Zunächst rückt so Auggies Schwester Via in den Vordergrund, die ihn zwar abgöttisch liebt, aber manchmal eben auch darunter leidet, dass sich die Aufmerksamkeit der Eltern deutlich auf ihren Bruder konzentriert.

Drei Kinder und Jugendliche aus Auggies Umfeld bekommen im Verlauf des Films ihre eigene Stimme, was der Handlung neue Facetten hinzufügt, die erzählerische Spannung aufrechterhält und das Spektrum der Emotionen ständig erweitert. Im Mittelpunkt der Handlung steht immer Auggie, aber der multiperspektivische Rundumblick gibt schließlich auch die Sicht auf die verborgenen Absichten und die Unachtsamkeit einiger Figuren frei – und somit auf die Ursachen der vielen kleinen und großen Konflikte, die den Alltag der jungen Leute prägen. Der opportunistische Impuls, sich bei einer bestimmten Person (oder Gruppe) auf Kosten anderer einzuschmeicheln, erschien selten zugleich so nachvollziehbar und so falsch wie hier, denn wir sehen wie niederschmetternd eine solche Handlungsweise eben auch wirken kann. Große Gefühlsdramen hängen hier an einer zufällig aufgeschnappten Bemerkung, die eine schlimme Kettenreaktion des Unglücklichseins auslöst. Umso toller ist es, wie die Konflikte dann aufgelöst und die Missverständnisse aufgeklärt werden: Ein mutiges offenes Wort oder eine Entschuldigung von Herzen kann vieles richten.

Die Vielstimmigkeit der Erzählung bringt dem Publikum insbesondere die Nebenfiguren sehr nahe, die in anderen Filmen häufig weitgehend auf ihre erzählerische Funktion reduziert bleiben. Selbst der fiese Ober-Bully Julian erscheint nach einer entlarvenden Szene mit seinen Eltern in einem gänzlich anderen Licht, auch wenn er hier kein eigenes „Kapitel“ erhält (in einem Spin-off zum Roman hat er es inzwischen bekommen). Dass selbst die kleineren Rollen nachhaltigen Eindruck hinterlassen, ist zudem der exzellenten Besetzung zu verdanken: Neben der durchweg überzeugenden Riege der Jungdarsteller um den mittlerweile auf außergewöhnliche Kinderschicksale abonnierten Jacob Tremblay („Raum“, „Book of Henry“) verleihen auch die eher am Rand der Geschichte auftauchenden Erwachsenen der Geschichte subtil Konturen und machen den Film auch für ältere Zuschauer sehenswert.

Ziemlich großartig ist etwa die Szene, als Auggie erstmals einen Schulfreund mit nach Hause nehmen will und Julia Roberts als seine Mutter offensichtlich vor Freude am liebsten umherspringen würde, sich aber vor den beiden Jungs im Zaum hält und sich selbst zuraunt: „Ich muss cool bleiben!“. Die Erwachsenen als Gruppe wirken zwar eine Spur zu perfekt und einfühlsam, aber Darsteller wie Owen Wilson („Marley und ich“) oder Mandy Patinkin („Die Braut des Prinzen“) als Schuldirektor „Tushman“ sind selbst als fast schon aufdringlich vorbildliche Gutmenschen in einem Familienfilm mit überschaubarer Fallhöhe und einem geradezu märchenhaften Finale (ein bisschen wie beim ersten Band von „Harry Potter“, wo selbst noch die versteinerte Katze wiederbelebt wird und man den Schulwettbewerb gewinnt) ein Erlebnis.

Fazit: Ein schöner Wohlfühlfilm für die ganze Familie, bei dem das Wunderbare des Titels vor allem im allzu perfekten Finale etwas überbetont wird.

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Die Filmstarts-Kritik zu Wunder (2024)

FAQs

Ist der Film Wunder nach einer wahren Geschichte? ›

So verrückt es aber klingt: Der Film basiert tatsächlich auf einer wahren Geschichte. Genauer gesagt Geschichten.

Ist der Film Wunder traurig? ›

"Wunder" hat wahnsinnig viel Tiefgang, ist jedoch in keinem Moment deprimierend. Manche Szenen sind zum Heulen - mal weil's traurig ist, dann weil's einfach schön ist - aber gleichzeitig ist der Film wahnsinnig humorvoll. Nicht umsonst hielt sich der Film wochenlang an der Spitze der US-Kinocharts.

Was hat der Junge aus dem Film Wunder? ›

Jacob Tremblay begeisterte im Film „Wunder“ in der Rolle eines an einer seltenen Gesichtsdeformation, dem Treacher-Collins-Syndrom, erkrankten Jungen „August Pullman“. Trotz seines besonderen Aussehens schlägt sich „Auggie“ in einer mitreißenden Weise durch den Alltag auf seiner neuen Schule.

Wo wohnt August Pullman? ›

Der zehnjährige August „Auggie“ Pullman ist ein Fünftklässler und Star-Wars-Fan, der in North River Heights in Upper Manhattan lebt.

Was ist TCS Krankheit? ›

Das Treacher-Collins-Franceschetti-Klein-Syndrom (TCS; OMIM 154500) ist eine autosomal-dominant vererbte Erkrankung mit typischem kraniofazialen Aspekt gekennzeichnet durch nach außen abwärts gerichtete Lidachsen, Hypoplasie von Os zygomaticum und Mandibula sowie Ohrmuschelfehlbildungen.

Hat Wunder ein Happy End? ›

Dennoch ist Wunder ein gelungener Film für die ganze Familie, mit dem sicherlich auch Kinder im Grundschulalter schon etwas anfangen können. Wie gesagt: Vergnügen garantiert durch Happy-End und einen Triumph des 'Guten' über das 'Schlechte'.

Wie heißt der traurigste Film der Welt? ›

Taschentuch-Alarm: Die traurigsten Filme aller Zeiten!
  • Schindlers Liste. ...
  • Forrest Gump. ...
  • Der Soldat James Ryan. ...
  • Das Leben ist schön. ...
  • Ist das Leben nicht schön? ...
  • Der König der Löwen. ...
  • The Green Mile. ...
  • Casablanca.
Apr 27, 2023

Wie alt ist Auggie im Film Wunder? ›

August Pullmann, genannt Auggie (Jacob Tremblay), ist zehn Jahre alt und lebt mit seinen Eltern Isabell (Julia Roberts) und Nate (Owen Wilson), sowie seiner etwas älteren Schwester Olivia (Izabela Vidovic) in New York.

Was passiert am Ende von Wunder? ›

Am Ende der Geschichte wird August vom Schuldirektor eine Ehrenmedaille für besonderen Mut und Stärke, die andere Menschen berührt, verliehen. August ist glücklich, dass er sich getraut hat, die Schule zu besuchen.

Wo wurde das Wunder gedreht? ›

Überraschung: Das Wunder von Chicago!

Der überwiegende Teil von "Das Wunder von Manhattan" wurde allerdings in der "Windy City" Chicago gedreht, die schlichtweg als New York posieren durfte. Das Kaufhaus "Cole's" im Film ist in Wahrheit das Art Institute of Chicago, das sich in der 111 South Michigan Avenue befindet.

Wie alt ist via aus dem Film Wunder? ›

Sie ist 15 Jahre alt und somit Augusts ältere Schwester (S. 148, S. 150). Via wird als hübsches Mädchen beschrieben (S.

Kann man Wunder auf Netflix schauen? ›

Der neue Netflix-Film «Das Wunder» basiert auf dem gleichnamigen, 2016 erschienenen Roman der irischstämmigen Schriftstellerin Emma Donoghue.

Wie viele Ops hatte August Pullman? ›

Die Hauptperson des Films ist Auggie Pullman. Er hatte schon 27 Operationen hinter sich, wegen eines seltenen Gendefeks bei seiner Geburt, der sein Gesicht entstellt hat. Mit zehn Jahren soll er in eine neue Schule gehen.

Wie viele Operationen hatte August aus dem Buch Wunder? ›

Mit seinen zehn Jahren hat er noch nie eine Schule von innen gesehen. Er hat bereits 27 Operationen hinter sich und fast alle Menschen in Manhattan verdrehen sich den Kopf nach ihm, weil sein Gesicht durch einen Gendefekt entstellt ist.

Ist Wunder August eine wahre Geschichte? ›

Die Antwort erscheint nun im Januar in den deutschen Kinos: Wunder heißt der Film und erzählt die wahre Geschichte von August 'Auggie' Pullman, der an einem Gendefekt leidet und deswegen u.a. ein deformiertes Gesicht hat.

Welcher Film basiert auf einer wahren Geschichte? ›

Diese zehn Tipps-Film sollten Sie zu Ihrer Watchlist hinzufügen.
  • " Snowden" | 2016. ...
  • " Die Frau des Zoodirektors" | 2017. ...
  • " Vergiftete Wahrheit" | 2019. ...
  • " A United Kingdom" | 2016. ...
  • " Dunkirk" | 2017. ...
  • " Straight Outta Compton" | 2015. ...
  • " The Imitation Game" | 2014. ...
  • " Der Junge, der den Wind einfing" | 2019.
Mar 19, 2022

Ist das Buch Wunder gleich wie der Film? ›

Die Adaption des Jugendromans „Wunder“ bleibt sehr nah am literarischen Original. Durch die hohe Werktreue des Films kön- nen nahezu alle der zum Buch vorgeschlagenen Fragen und Aufgaben problemlos auf den Film bezogen werden.

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